[Kommentar] Schuldlos am Ende? Die Wirtschaft, die Kameratechnik, ihre Krisen und der Fall Olympus

Olympus OM-D E-M10

Wie Interessierte längst wissen, hat der Traditionshersteller Olympus im Juni gemeldet, die Kamerasparte aufgeben zu wollen; die Firma ist im Gespräch mit der privaten Beteiligungsgesellschaft Japan Industrial Partners (JIP), von der es heißt, dass sie das Geschäft fortführen, „umstrukturieren“ und profitabel machen soll. Olympus selbst hat im Vorfeld bereits „Umstrukturierungsmaßnahmen“ eingeleitet.

Bei sowas macht es Sinn, die Unternehmens-PR beiseite zu lassen und die Interpretationen und Kommentare sachkundiger Beobachter wahrzunehmen, und um von der Realität nicht enttäuscht zu werden, ist es auch nicht verkehrt, vorsichtshalber mal das Schlimmste zumindest in Betracht zu ziehen. Das Schlimmste für Olympus Imaging und diejenigen, die wie ich über die Jahre ein bisschen Geld in ihre Olympus-Kameraausrüstung gesteckt haben, wäre demnach, dass Olympus den „Investor“ im Grunde noch dafür bezahlt, die notorisch defizitäre Fotoabteilung zu einer Art Resterampe zusammenzustreichen, die Entwicklungsabteilung und alles andere, was Geld kostet, aufzulösen, sodann zu schauen, wie lange man mit den Resten, wenn überhaupt, Profite erwirtschaften kann, um das Ganze danach in Stücken zu verscherbeln – vor allem natürlich das gesamte Patentportfolio, das bei dem angedachten Vertrag mit JIP dabei sein soll. Der Ruf, der JIP vorauseilt, und der track record dieses Unternehmens lassen eine solche Variante weitaus weniger absurd erscheinen, als man es sich wünschen würde.

Leider sind Wünsche und Hoffnungen nur magisches Denken und werden niemandem bei irgendetwas helfen, außer bei der Erkenntnisvermeidung.

Nun aber ist es ja so, dass bei kaum einer der einschlägigen Kameramarken, die es um die Jahrhundertwende bis in die Digitalära hinein geschafft hatten und bis jetzt überlebt haben, noch ein dauerhaft profitables oder gar, wie das Wirtschaftssystem es gerne sähe, wachstumsträchtiges Geschäft zugrundeliegt. Das ist bei denjenigen, deren Zahlen man kennt, offensichtlich, und von denen, deren Zahlen man nicht kennt, weil sie nicht im Detail veröffentlicht werden, ist nicht anzunehmen, dass sie bedeutend besser dastehen.

Bekanntlich ist der Digitalkameramarkt seit rund zehn Jahren drastisch und kontinuierlich am Schrumpfen, und es gibt keinen Hinweis darauf, dass sich diese Tendenz eines Tages umkehren würde; nicht mal ein Ende der Abwärtstendenz ist abzusehen. Die logische Konsequenz daraus ist, dass sich das Digitalkamerageschäft auf einem noch niedrigeren kommerziellen Niveau als dem heutigen einpendeln muss und wird, auf einem Niveau, das jedenfalls aus Sicht der Verhältnisse von vor zehn Jahren nur als katastrophal gesehen werden kann. Dabei verlangen die unwiederbringlich weggebrochenen Stückzahlen zwingend entweder drastische Einsparmaßnahmen, die nicht ohne Folgen für die Produktqualität bleiben können, oder drastisch steigende Preise, oder beides – und beides wird den Rückgang der Verkäufe nur noch weiter antreiben.

Smartphone vs. Spiegellose

Nun sind sich kurioserweise wirklich alle über die Ursachen dieser Entwicklung einig, die PR-Abteilungen der Hersteller, das Fachpublikum und die Kundschaft – der Schuldige ist das Smartphone! Und mit ihm gelegentlich noch die anspruchslosen Konsumierenden, denen das Smartphone plötzlich ausreicht, und die die zahlreichen großartigen Vorteile „echter“ Kameratechnik nicht mehr zu schätzen wissen.

Uneinig ist man sich umso mehr, wenn es einen der Hersteller wirklich erwischt. Ein Ereignis, das natürlich umso schwerer wiegt, wenn’s der Hersteller all jener geschätzten Werkzeuge und Spielsachen ist, mit denen man die vergangenen Jahre so viel Freude hatte. Wenn nicht wiederum um die anspruchslosen Konsumierenden, die bloß die Vorzüge der betreffenden Marke nicht richtig zu schätzen wussten, kreist die Diskussion nur noch um die Frage, was der eine Hersteller denn falsch gemacht hat, dass es ausgerechnet ihn jetzt getroffen hat, und die Finger zeigen tendenziell natürlich besonders gerne auf die Kameramodelle, die einen selbst nicht interessiert haben, oder es wird auf diejenigen fehlenden Kameras oder Features verwiesen, die man selbst immer haben wollte, aber nie bekam.

Denn man geht immer unterbewusst davon aus, dass der Pleitier seine Pleite schon irgendwie selbst verursacht hat. Es müssen Schuldgründe bei ihm zu finden sein, also lasst uns suchen! Aber ist das wirklich so? Man weiß vom Smartphone und vom Markt. Was, wenn das Geschäftsmodell, auf dem die Geschäftstätigkeit praktisch aller Digitalkamerahersteller beruht, einfach nicht mehr trägt, weil sich die Rahmenbedingungen geändert haben? Immerhin scheinen sich viele Beobachter einig zu sein, dass der erste, den es erwischt hat, kaum der einzige bleiben wird, der das Kamerageschäft aufgibt, aufgeben muss.

Just dieser Tage las man, dass der Segway PT, der „Segway Personal Transporter“, nun endgültig eingestellt wird, nachdem der Hersteller schon vor Jahren an einen chinesischen Konkurrenten gegangen war. Einer der Gründe für den Misserfolg und jetzt das Ende, neben der erheblichen Überschätzung, wie groß das Interesse an dem Produkt sein würde, scheint gewesen zu sein, dass der Segway PT zu gut war – er ging praktisch nicht kaputt, war sogar derart redundant-robust konstruiert, dass Teile seines Antriebs ausfallen konnten, und er lief trotzdem weiter. Einfach gute Ingenieurskunst. Soll man das wirklich als Fehler bezeichnen und dem Hersteller die Schuld dafür geben, dass seine Konstruktion zu gut war?

Haben nun bloß wegen dem Smartphone wirklich so viele Fotografen und Fotografinnen nicht nur ihre alten Kompaktkameras, sondern auch ihre DSLRs und Spiegellosen weggeschmissen? Oder ist es nicht vielleicht eher so, dass immer noch sehr viele Leute, ein Vielfaches mehr als die Marktentwicklungskurven andeuten, weiter fröhlich mit DSLRs und Spiegellosen fotografieren und manche sogar mit Kompakten – nur halt nicht mehr mit neuen?

Könnte es nicht einfach sein, dass das Interesse speziell an neuen Systemkameras mit oder ohne Spiegel, die absehbar auch noch ein ganzes Weilchen vom Smartphone nicht wirklich ersetzt werden können, vor allem deswegen nachgelassen hat, weil die Technik jetzt seit ein paar Jahren einfach so gut ist, dass sehr viele Fotografen und Fotografinnen, selbst ambitionierte, mit ihren nicht mehr ganz neuen, aber trotzdem hervorragenden Kameras einfach immer noch bis auf weiteres zufrieden sind?

So dass sie neuere Modelle nicht deswegen verschmähen, weil die Hersteller irgendetwas grob falsch gemacht hätten, sondern weil sogar die alten schon ausgereift waren und gut? Während die neuen bloß nicht genug Neues bieten, um die Ausgabe zu rechtfertigen? 

Minolta XD7

Die momentane Krise ist nicht die erste existenzielle Krise der Kamerabranche, und sie folgt einem Muster, das sich besonders deutlich im Systemkamerageschäft widerspiegelt. In den Achtzigerjahren des vergangenen Jahrhunderts war die analoge SLR ausgereift, perfektioniert, ausgereizt. Die SLR-Verkäufe gingen zurück, die Leute hatten gute SLRs, bessere brauchten sie nicht und sehr viel Besseres kam auch nicht mehr. Die Hersteller versuchten sich dann irgendwann mit Einsparmaßnahmen über Wasser zu halten. Nicht alle der seinerzeit bekannten Marken überlebten. Und warum? Weil die seit Jahren verkauften Kameras aller Hersteller schon so gut waren, dass es wenig zu verbessern gab.

In dem Moment kam der AF zur Rettung und leitete eine neue Ära ein. Nicht alle Hersteller schafften den Wechsel – einzelne wenige Ausnahmen darunter überlebten trotzdem, darunter damals ausgerechnet Olympus. Die AF-SLRs brachten erstmals seit langem wieder etwas wirklich Neues, und die Leute hatten einen neuen Grund, Geld auszugeben. Zur Jahrhundertwende war die AF-Technologie ausgereift, die Kameras waren gut und vollausgestattet, und immer mehr Leute brauchten keine besseren als die, die sie schon hatten. Es wurden nur noch wenige neue verkauft. Wieder überlebten nicht alle Hersteller. Warum? Weil die zuletzt verkauften Kameras alle so gut waren, dass es wenig zu verbessern gab.

In dem Moment kam für die Hersteller, die es bis dahin geschafft hatten, die Digitaltechnik zur Rettung und begründete wiederum eine neue Ära, wobei wiederum nicht alle die Anpassung schafften. Zwanzig Jahre später: digitale Systemkameras sind ausgereift, es gibt längst nur noch gute Kameras, qualitative Unterschiede liegen allenfalls im Detail, und kaum jemand braucht noch eine bessere Kamera als die, die er oder sie schon hat. Die Stückzahlen gehen allein deswegen immer mehr zurück: Weil die existierenden Kameras so gut sind.

Und das Smartphone hat das Ganze nur ein bisschen verschärft und beschleunigt. Es ist nicht der Hauptschuldige. Auch die Hersteller sind nicht die Schuldigen. Klar, alle haben ein paar kleine bis mittelschwere Fehler gemacht und machen sie weiter. Aber keine drastischen (Pentax vielleicht ausgenommen, wo man noch auf ein Ende der spiegellosen Systemkameras wartet, die man für eine vergängliche Mode hält). Der einzige potenziell letale Fehler ist, dass sie in den letzten Jahren zu gute Kameras verkauft haben. Zu gut, um auf der Basis verfügbarer irdischer Technologie noch soviel besser zu werden, dass das noch genug neue Kaufanreize schüfe.

Und vielleicht trifft es Olympus auch deswegen jetzt als Ersten, weil Olympus in der Vergangenheit so oft Erster war mit der Einführung neuer Technologien. In dem Moment hatten sie immer einen kleinen Vorteil, aber danach halt auch als Erster das Pulver verschossen.

Das Ganze, der ganze Wahnsinn, hat nicht nur Methode, sondern auch natürlich einen Namen; man nennt es Marktwirtschaft.

Mond

Ich würde mir jetzt zwar gerne wünschen*, dass wenigstens noch völlig in den Sternen* oder von mir aus auch im Mond stünde, was genau jetzt aus Olympus Imaging wird, aber dafür zeichnen sich gewisse Wahrscheinlichkeiten doch leider schon zu deutlich ab.

* siehe „magisches Denken“ weiter oben

2 Comments

  1. Cool, wie aus einer Fachzeitschrift.

    Das Satzfragment „auf der Basis verfügbarer irdischer Technologie“ finde ich sehr lustig, eh klar! :-D

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